Renners ReVision vom 10. Juni 2019
Vergangenen Freitag wurde im Deutschen Bundestag die Große Anfrage der Fraktion der „Alternative für Deutschland“ an die Bundesregierung in Sachen „Angebliche Hetzjagden in Chemnitz“ debattiert. In der einstündigen Debatte offenbarte sich eine Bandbreite an „Zwickmühlen“, die jeden gesunden Menschenverstand an seine Grenzen zu bringen imstande sind.
Vorweg sei noch einmal auf folgenden Umstand hingewiesen: Meine Große Anfrage zur Causa „Chemnitz“ wurde am 13. September 2018, also gut drei Wochen nach dem Mord an Daniel H. an die Bundesregierung gesandt. In diesen drei Wochen haben wir Gespräche mit diversen Amtsstellen der Polizei und anderen Behörden geführt. Wir wollten bewusst zunächst die ersten Ermittlungen, die öffentliche Berichterstattung und die Reaktionen der „üblichen Verdächtigen“ abwarten.
Die schriftliche Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage ließ lange auf sich warten. Sehr lange. Herr Seibert benötigte als Regierungssprecher sechs Monate, um letztlich lapidar zu antworten, dass man sich ausschließlich auf die öffentliche Berichterstattung über die Geschehnisse berufe.
Man muss sich die Vorgänge einmal vergegenwärtigen: Es ereignet sich, einmal mehr, ein Tötungsverbrechen. Der Regierungssprecher und die Bundeskanzlerin sprechen nicht über diese Tötung, sondern behaupten tatsachenwidrig, dass es Hetzjagden und Zusammenrottungen gegen fremd Aussehende gegeben habe. Diese Verlautbarungen der Exekutive werden von den Medien aufgegriffen und verbreitet. Die sogenannten „freien Medien“ recherchieren und berichten darüber, dass es Hetzjagden und Zusammenrottungen nicht gegeben habe. Die Polizeidienststellen und der sächsische Ministerpräsident stellen klar, dass es derartige Vorkommnisse nicht gegeben habe. Und wie reagieren der Pressesprecher der Regierung (immerhin ein Staatssekretär) und die Kanzlerin? Gar nicht. Sie warten geschlagene sechs Monate um auf unsere Anfrage zu antworten und antworten dann lapidar: „ … dass sie sich in ihren Verlautbarungen auf die Berichterstattung der Medien gestützt hätten.“
Das kann man nur skandalös nennen. Aber klar, man wollte dieses heiße Eisen erst lange genug abkühlen lassen, bevor man es erneut anfassen müsste. Und man wartete auch deshalb so lange, weil man dann denjenigen, die diesen skandalösen Vorgang parlamentsöffentlich diskutieren wollen, dann leicht vorwerfen kann, dass es denjenigen ja nur um Instrumentalisierung und immer wieder um „Aufkochen“ alter Vorgänge ginge.
Parteiübergreifend aller Altparteien wurde der AfD am Freitag im Parlament angebliche „Wortklauberei“ unterstellt. Befindet man sich auf dem Niveau etwa eines klimahysterischen Schulkindes, dann kann man das vielleicht noch nachvollziehen. Wer aber bereits bei diesem Argument „Wortklauberei“ steckenbleibt und darüber hinaus nicht zu weiteren beurteilenden Argumenten kommt, der offenbart zwangsläufig ein höchst oberflächliches und intellektuell wenig befriedigendes politisches Denken.
Klipp und klar, kurz und bündig: Am Freitag konnten wir alle sehen und hören, dass die parlamentarischen Redner der Altparteien sich bewusst für eine perfide „ich-stell-mich-mal-lieber-dumm“ – Haltung entschieden haben.
Es geht mitnichten um eine rein sprachliche Debatte der Wörter „Hetzjagd“ oder „Zusammenrottung“ – an denen es allerdings auch nichts schönzureden gibt. Denn, wenn die Szene in dem 19sekündigen „Hasi-Video“ regierungsamtlich zur Hetzjagd aufgebauscht wird – dann finden in diesem Land vermutlich täglich Hetzjagden statt. Beispielsweise bei jedem dritten Fußballspiel. Oder, noch schlimmer: Auf den Schulhöfen so mancher deutschen Großstadt.
Der eigentliche Skandal geht doch wesentlich tiefer. Hier wurde ein offensichtlicher Antifa-Twitter-Account (ANTIFA-Zeckenbiss) vom Sprecher der Bundesregierung praktisch und faktisch zur „offiziellen Informationsbehörde“ erhoben und geadelt. Ohne jede weitere Rücksprache mit staatlichen amtlichen Stellen, ohne die laufenden Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft abzuwarten.
Absurderweise war dies übrigens einer der gestrigen, vollkommen aberwitzigen Vorwürfe uns gegenüber: Wir sollten doch keine voreiligen Schlussfolgerungen ziehen und die Arbeit des Rechtsstaates abwarten. Aha.
Nächster Vorwurf uns gegenüber: Die AfD würde den brutalen Mord für ihre politischen Zwecke instrumentalisieren. Genau andersherum wird jedoch ein Schuh daraus. Der brutale Tod von Daniel H., der wieder einmal alle Stereotype der bekannten „Einzelfälle“ aufwies, brachte das Fass zum Überlaufen. Zudem ereignete sich dieser Vorfall während des Chemnitzer Stadtfestes – und die Stimmung der Bürger schwankte sichtbar zwischen berechtigtem, ohnmächtigen Zorn und tiefer, ebenso ohnmächtiger Trauer.
An dieser Stelle nahm man dankbar die Steilvorlage der „Haltungs-Journalisten“ an – und verbreitete weltweit die Meldung, dass es Hetzjagden auf Menschen ausländischen Aussehens und fremder Herkunft gegeben habe. Natürlich erregte die von unserer eigenen Regierung in Umlauf gebrachte Information, dass es hierzulande einen Rückfall „in die dunkelste Zeit unserer Geschichte“ gegeben habe weltweite Aufmerksamkeit. Und degradierte den Tod von Daniel H. binnen weniger Stunden zur Nebensächlichkeit.
Das war eine Instrumentalisierung. Das war menschenverachtend gegenüber dem Todesopfer und seiner Familie. Das war in höchstem Maße diffamierend gegenüber den Chemnitzern, gegenüber den Sachsen, gegenüber ganz Deutschland.
Dass die Bundesregierung – ungeprüft – eine derart ungeheuerliche Anklage gegenüber den eigenen Bürgern erhebt, kann man hier gar nicht in angemessenen Worten kommentieren. Es kann nicht sein, was nicht sein darf – das ist die himmelschreiende Conclusio aus diesem Vorgehen der Kanzlerin. Das bloß niemand auf die Idee kommen möge, 100 und 100 zusammenzuzählen und die unzähligen „Einzelfälle“ mit der katastrophalen Politik dieser (UN)Kanzlerin in Verbindung zu bringen….
In jedem Staat oberhalb der Schwelle zur Bananenrepublik müsste eine solche, die tatsächlichen Abläufe ignorierende Schlamperei, eine derartige Verhöhnung und Aufwiegelung der eigenen Bürger zum sofortigen, bedingungslosen Rücktritt der Verantwortlichen führen.
Eine solche Regierung, eine solche Regierungschefin, ist schlichtweg unhaltbar – es sei denn, man ist bereit, sich von Menschlichkeit, Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit endgültig zu verabschieden.
Diese – höchst berechtigte – Anklage gegenüber der Kanzlerin und ihres „Systems“ darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir es hier zugleich mit einer ausgemachten Medienkrise zu tun haben. Die offenkundige Kumpanei und vielleicht sogar Komplizenschaft zwischen öffentlicher Berichterstattung und Regierung kommt nicht von ungefähr: so etwas nennt man „Über-Bande-Spielen“. Eine derartige Berichterstattung von Komplizen hat eine Aufgabe und die Zielsetzung: Den Bürger zur „einzig richtigen“ Sichtweise zu zwingen. Und ihm die Folgen von „Ungehorsam“ eindrucksvoll vor Augen zu führen.
Wer andere Aspekte und Sichtweisen in die politische Debatte einzubringen gedenkt, der wird – ungeachtet seiner Stellung und seiner Glaubwürdigkeit – gesellschaftlich vernichtet. Siehe die Causa Maaßen, die für meine Behauptung einen echten Beweis darstellt.
Doch wir müssen es noch schlimmer formulieren: Wenn selbst der bis dato völlig unverdächtige Präsident des Bundesverfassungsschutzes einer solchen Gesinnungsjagd zum Opfer fällt, dann wirft dies zwangsläufig eine weitaus bedeutsamere Frage auf. Wie oft und wie deutlich „darf“ und „kann“ eine Regierung die Grenze zum Totalitarismus überschreiten?
Was seit dem gewaltsamen Tod des Daniel H. geschah, spricht leider die gleiche Sprache: Die plötzliche Verweigerung des Hauptzeugen, eine Aussage zu machen. Die Flucht des Hauptverdächtigen, der nach Gesetzeslage schon zum Zeitpunkt der Tat lange hätte abgeschoben sein müssen. Die politischen und medialen Attacken gegenüber Herrn Maaßen. Der vom Bundespräsidenten begrüßte Auftritt linker „Ekelmusikanten“, die zum Tanz auf dem Grab des einzigen und wirklichen Opfers aufspielen durften.
Fazit: Diese Debatte über die Chemnitzer Ereignisse war ein weiterer, einschneidender Tiefpunkt in der Geschichte unseres demokratischen Rechtsstaates. Wer die Redebeiträge der Vertreter der Altparteien verfolgt hat, dem darf es zu Recht „angst und bange“ um unser Land und um unsere Gesellschaft sein. Solche Redebeiträge, solch‘ ein Umgang mit Sachverhalten im Parlament, also in der Herzkammer unserer Demokratie, lassen die dunklen Gewitterwolken am Horizont unübersehbar werden. Gewitterwolken, die sich sehr bald in einem riesigen Unwetter entladen werden.